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Die Künstliche Intelligenz hat zugeschlagen in der Politik-Bubble in Brüssel. Das erste Opfer? Hunderte von Übersetzern, die für die Europäische Union arbeiten. Hightech-Maschinen, die den eurokratischen Jargon in Rekordgeschwindigkeit durchschreiten, haben angefangen, eine der größten und ältesten Abteilungen der vielsprachigen Brüsseler Institutionen zu ersetzen.
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Und das könnte erst der Anfang sein, denn neue KI-Tools haben das Potenzial, Menschen weiter zu ersetzen. Übersetzer sind unverzichtbare Rädchen in der komplexen EU-Maschine, da jeder einzelne offizielle Text in die 24 Arbeitssprachen der EU übersetzt werden muss, bevor ein Beschluss in Kraft treten kann.
Bis vor einigen Jahren haben Menschen diese Herkules-Aufgabe erledigt. Doch damit ist jetzt Schluss. Aus Zahlen der Europäischen Kommission, der Exekutive der EU, geht hervor, dass ihr Übersetzungsreferat in den letzten zehn Jahren um 17 Prozent geschrumpft ist. Man setzt verstärkt auf maschinelle Übersetzung.
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Nach den alten Zeiten sehnen sich die Übersetzer der EU dennoch kaum zurück. Es waren Zeiten, in denen sie stundenlang in Wörterbüchern blätterten und dicke Dokumente abtippen mussten. Technologie spart Zeit, sagt der erfahrene Übersetzer Markus Foti, der inzwischen die Abteilung für maschinelle Übersetzung der Kommission leitet.
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„Die Zeit, die ich 1999 damit verbracht habe, in die örtliche Bibliothek zu gehen und den entsprechenden Absatz nachzuschlagen, um ihn dann abzutippen, kann ich jetzt für die eigentliche Übersetzung aufwenden“, sagt Foti.
Vom Tod einer ganzen Berufssparte wollen Übersetzer nichts wissen. Obwohl sich der Beruf an die KI anpasst, bleibt das menschliche Element unverzichtbar, sagen sie. „Die Welt verändert sich, und die Übersetzung darf nicht zurückbleiben“, sagt Spyridon Pilos, ein ehemaliger Kommissionsbeamter, der die Einführung von Übersetzungsmaschinen im Jahr 2013 beaufsichtigt hat. „Die maschinelle Übersetzung hilft den Übersetzern, kann sie aber nicht ersetzen. Es besteht immer ein Bedarf an menschlicher Validierung“.
Sprachen aus Osteuropa machen es komplizierter
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Als Anfang der 2000er-Jahre neue Mitgliedstaaten hinzukamen und die Zahl der EU-Amtssprachen schließlich auf 24 anstieg, entwickelte die EU effizientere Tools, da ihr Übersetzungsvolumen stark anstieg. Die Kommission musste ihr altes Übersetzungssystem aufgeben, da es nicht in der Lage war, mit den Sprachen der neuen Mitglieder aus Osteuropa zu arbeiten.
„Es handelte sich um ein regelbasiertes System, bei dem man Wörterbücher, grammatikalische Regeln und Transformationsregeln erstellen musste. Es war also sehr umständlich und arbeitsintensiv“, sagt Dieter Rummel, Leiter der Informatikabteilung im Übersetzungsreferat der Kommission.
Die Arbeitsbelastung der Kommissionsübersetzer stieg von etwa zwei Millionen Seiten im Jahr 2013 auf 2,5 Millionen im Jahr 2022, so ein Sprecher der EU-Exekutive. Im Jahr 2013 wurde eine neue datengesteuerte Maschine eingeführt – nur um vier Jahre später durch ein noch ausgefeilteres und leistungsfähigeres Übersetzungssystem ersetzt zu werden. Es nutzt ein künstliches neuronales Netz, also Computerknoten in einer Struktur, die Neuronen nachempfunden ist, um die Reihenfolge der Wörter vorherzusagen.
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Diese fortschrittlichen Hilfsmittel bieten ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, da sie es weniger Mitarbeitern ermöglichen, eine wachsende Menge von EU-Rechtsvorschriften zu übersetzen. Für die Übersetzerinnen und Übersetzer selbst war das jedoch mit massiven Kosten verbunden.
Nach Angaben der EU-Exekutive schrumpfte die Zahl der fest angestellten Mitarbeiter im Übersetzungsreferat der Kommission, im Brüsseler Jargon DGT genannt, von rund 2450 im Jahr 2013 auf etwa 2000 im Jahr 2023.
Cristiano Sebastiani ist Vorsitzender von „Renouveau et Démocratie“, einer Gewerkschaft, die die EU-Beschäftigten vertritt. Laut ihm haben psychische Probleme und Burnout-Fälle unter den Übersetzern in den vergangenen zehn Jahren erheblich zugenommen. Das sei auf die zunehmende Arbeitsbelastung und den Leistungsdruck zurückzuführen.

Das Outsourcing hat in den vergangenen zehn Jahren zugenommen: von 26 Prozent der Gesamtleistung der DGT im Jahr 2013 auf 36 Prozent im ersten Quartal 2023. Grund: Die Kommission hat die immer größer werdende Arbeitslast ausgelagert.
Nach eigenen Angaben stiegen die Ausgaben der Kommission für die Übersetzung von 26,5 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 35,8 Millionen Euro im Jahr 2023, da das Budget für das Outsourcing stark anstieg (von 12,6 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 20,4 Millionen Euro im Jahr 2022). „Die Verteidigung der Mehrsprachigkeit ist kein beliebter Kampf, denn sie ist teuer“, sagt Sebastiani. Seiner Meinung nach droht der Abbau von Übersetzerstellen die Mehrsprachigkeit in der EU zugunsten der englischen Sprache zu schwächen.
Sheila Castilho, die an der Dublin City University einen Masterstudiengang für Übersetzer leitet, weist jedoch darauf hin, dass es Übersetzer, die sich auf weniger verbreitete Sprachen spezialisiert haben, leichter haben, in die Kommission zu kommen. Grund: Bei den selteneren Sprachen gebe es weniger Konkurrenz. „Irische Studenten bekommen ständig Angebote von der DGT“, sagt Castilho.

Junge Übersetzer klagen, dass sie die Hauptlast der Automatisierung tragen, da es trotz der gestiegenen Arbeitsbelastung immer weniger Einstiegsstellen bei der Kommission gibt. Sie sagen auch, dass mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als neue eingestellt werden, und dass sie daher weniger Chancen haben als frühere Generationen.
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Nach Angaben der EU-Exekutive sank die Zahl der jährlich neu eingestellten Übersetzer von 112 im Jahr 2013 auf 59 im Jahr 2022. Angehende EU-Übersetzer haben sich in den sozialen Medien darüber beschwert, wie schwer es ihnen fällt, einen Job in den Brüsseler Institutionen zu finden. „Es scheint, als gäbe es nie eine freie Stelle für Übersetzungen, sprachliche Unterstützung oder Korrekturlesen“, beschwert sich ein angehender EU-Übersetzer in einem anonymen Posting auf Facebook.
Wichtige Texte lässt EU lieber von Menschen übersetzen
Aber nicht alles ist düster in der Blase der EU-Übersetzer, denn es werden immer noch Menschen gebraucht, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Pilos betont, dass „der Übersetzer immer die [letzte] Verantwortung trägt und für die Ergebnisse verantwortlich ist“ – vor allem, wenn es sich um wichtige Texte handelt. „Bei diesen [dringenden Reden] ziehen sie es immer noch vor, dass Menschen von Grund auf übersetzen, vor allem weil es sich um sensible Texte handelt. Es darf nichts durchsickern“, sagt Castilho.
EU-Übersetzer betonen, dass sich ihre tägliche Routine auf das Aufspüren von Fehlern und die Anpassung maschinell übersetzter Texte an die EU-Sprache verlagert hat. Im Übersetzerjargon wird das als „Nachbearbeitung“ bezeichnet – es wird zu einem immer wichtigeren Teil der Arbeit. „Ich weiß bereits, dass ich wahrscheinlich nicht den Rest meines Lebens übersetzen werde“, sagt eine junge Übersetzerin des Rates, die anonym bleiben will.
Die Übersetzer hoffen auch, dass die zunehmende Nutzung sozialer Medien durch die EU neue Möglichkeiten eröffnen könnte. „Die meisten offiziellen EU-Konten in den sozialen Medien sind auf Englisch, aber das könnte bedeuten, dass sich nicht jeder einbezogen fühlt“, so der Übersetzer des Rates. „Ich frage mich, wie das unseren Beruf verändern wird.“
Dieser Artikel erschien zuerst in „Politico“ und wurde von WELT aus dem Englischen übersetzt.
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